22.07.10 09:34 Alter: 14 Monat(e)

Schweiz liegt vorn: Euro-Länder kassieren 52 Mio. Euro KFZ-Bußgelder von Deutschen

Mit rund fünf Millionen Privat-Pkw fahren die Deutschen im Jahr zum Urlaub ins europäische Ausland. Fünf Millionen Mal die Chance, die Deutschen in Österreich, Schweiz, Italien & Co. im Straßenverkehr abzukassieren.

Gründe dafür gibt es viele: Mal können Touristen das kleine, in italienischer Schrift verfasste, Schild für "Verkehrsberuhigte Straße" vor dem gut versteckten Parkplatz des Schiefen Turmes von Pisa nicht lesen - wofür 194,50 EUR fällig werden - wenn man nicht bereit ist, ohne Widerspruch zu zahlen. Ein anderes Mal müssen einige Dutzend Euro fürs angebliche Falschparken in einem Bergdorf in Österreich überwiesen werden. Die Kommunen können in diesen Zeiten das Geld der Deutschen gut gebrauchen.

Wie stark die europäischen Länder die Deutschen vor allem in der Urlaubszeit im Straßenverkehr mit Bußgeldbescheiden abkassieren – offizielle Zahlen gibt es nicht. Eine aktuelle Studie eines Online-Reisebüros hat deshalb jetzt nachgerechnet. Pünktlich zur Sommer-Urlaubszeit. So erhalten nach ab-in-den-urlaub.de-Erhebungen zirka sieben Prozent der Deutschen, die beispielsweise während des Urlaubs im europäischen Ausland ein Auto mieten, Knöllchen-Bescheide nach Deutschland zugestellt.

Insgesamt fahren jährlich rund 15 Millionen Deutsche mit fünf Millionen Pkw in den Urlaub ins europäische Ausland. Summiert man zu den Privat-Pkw auch Mietwagen, erhöht sich diese Zahl. Beispielsweise erhielten 2009 etwa 20.000 deutsche Europcar-Kunden, die im Ausland mit einem Leihwagen unterwegs waren, anschließend aus einem Euro-Land einen Kfz-Bußgeldbescheid. Darunter waren 8.000 aus den Niederlanden und 6.000 aus Österreich. Europcar verfügt über 170.000 Autos, davon 133.000 im europäischen Ausland.

Unterm Strich wurden demnach 2009 insgesamt 515.784 Knöllchen mit einem Gegenwert von 52,6 Mio. Euro aus dem Euro-Ausland an die Deutschen verschickt. Das bedeutet: In den vergangenen zehn Jahren versuchten die Euro-Länder gut 520 Mio. Euro Kfz-Bußgelder von Deutschen einzutreiben.

Die Bundesregierung scheint bislang an solchen Zahlen kein Interesse gehabt zu haben. So liegt das Bundesministerium der Justiz mit geschätzten 100.000 eingehenden und 20.000 ausgehenden Bußgeldgesuchen völlig daneben. Diese Schätzwerte hatte man ab-in-den-urlaub.de übermittelt.

Die 515.784 Knöllchen basieren auf diversen Auskünften. Das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg teilte beispielsweise mit, dass es im Jahr 2009 insgesamt 716.333 Halter-Anfragen zu deutschen Bürgern aus dem Ausland gab. Diese Zahlen verteilen sich auf lediglich fünf Länder, wobei die kleine Schweiz mit 354.150 Halteranfragen Abkassiermeister der deutschen Autofahrer ist. Alleine auf die Schweiz entfällt der Untersuchung zufolge mindesstens die Hälfte der eingetriebenen Bußgelder – rund 25,5 Mio. Euro. Genug Geld um diverse Kommunen zu sanieren.

Die Schweiz ist bei deutschen autofahrenden Urlaubern sowieso berüchtigt. Wer nur 20 km/h auf der Autobahn zu schnell fährt, dem werden rund 200 € aufgebrummt. Es soll schon vorgekommen sein, dass Schweizer Polizisten Deutsche direkt zur nächsten Bank gebeten haben, und das Geld an Ort und Stelle haben wollten. Diese Zusatzeinnahmen der Schweizer sind in den genannten 25,5 Mio. Euro noch nicht einmal enthalten.

Das Eintreiberland Nummer zwei in Europa sind die ebenfalls eher kleinen Niederlande. Rund 192.503 Bußgeldbescheide verschickten sie an die Deutschen 2009 – mit einem Gegenwert von 19,2 Mio. Euro. Auf diese beiden Länder entfallen 87 Prozent aller bei den Deutschen eingetriebenen Gebühren. Österreich ist mit 41.767 Bußgeldbescheiden dabei (4,1 Mio. Euro), Belgien mit 15.815 (1,6 Mio. Euro), Italien mit 10.685 (1,07 Mio. Euro).

Alle Angaben sind konservativ niedrig gerechnet – sprich: Es wird eine durchschnittliche Bußgeldhöhe von 100 Euro angenommen. Anfragen aus anderen Ländern – zum Beispiel Frankreich oder Spanien – sind so gering, dass sie statistisch nicht besonders erfasst werden. Das deutet gleichzeitig darauf hin, dass die auf EU-Ebene beschworene Deutsch-Französische Freundschaft zumindest hier existiert.

Dazu passt auch: Deutschland selbst verschickt in der Regel in gar keine europäischen Länder Bußgeldbescheide. Heißt: Ein Kfz-Halter mit eidgenössischen oder italienischen Kennzeichen kann in Deutschland falsch parken, zu schnell rasen, und muss mit keiner Zahlungsaufforderung in Form eines Bußgeldbescheides rechnen. Besonders die italienischen Behörden sind zudem nicht berühmt dafür, solche Anfragen an die italienischen Kfz-Halter auch weiterzuleiten.

Erschwerend kommt hinzu: In vielen EU-Ländern ist die Korruption von Polizisten und Behörden eher tägliche Realität, als die Ausnahme. Viele Strafmaßnahmen gegen Ausländer (zu schnelles Fahren etc.) werden teils unter dubiosesten Aussagen getroffen. Dabei sind nicht wenige EU-Polizisten für ähnliche dubiose, häufig auch willkürliche "Strafzahlungen unter der Hand", durchaus gesprächsbereit. Man denke an Länder wie Rumänien, aber auch Italien oder Griechenland.

Das sieht auch der Dresdner Verkehrsrechtsanwalt Alexander Kaden so: "Für einen Deutschen ist es schwierig zu beweisen, ob das Knöllchen aus dem Ausland tatsächlich gerechtfertigt ist". Zumal es manchmal bis zu über einem Jahr dauern kann, ehe überhaupt die Zahlungsaufforderung eintrifft. Doch nicht nur das: Die Italiener akzeptierten bislang lediglich einen auf Italienisch geschriebenen Widerspruch.

Die EU wächst immer mehr zusammen – zumindest in den Träumen vieler Politiker. Englisch, Französisch oder Deutsch werden zwar als EU-Amtssprachen im internen Verkehr der EU-Organe akzeptiert. Doch das heißt aber immer noch nicht, dass auf Englisch oder Deutsch an italienische Polizeibehörden geschrieben werden dürfte.

Bislang konnten EU-Nationen die Bußgelder auch nicht mit Hilfe von Gerichten in Deutschland eintreiben. Das ändert sich nun. Ab Herbst 2010 müssen deutsche Behörden bis hin zum Gerichtsvollzieher Kfz-Bußgelder aus EU-Mitgliedsländern bei den Bundesbürgern eintreiben. Das gilt zumindest für Bußgelder ab 70 €. Das hat nun am 8. Juli 2010 der Deutsche Bundestag beschlossen.

Zwar dürfen nach der neuen Rechtslage deutsche Behörden das eingetriebene Geld auch behalten. Doch: Wie lange diese Regelung in der EU durchgehalten wird, steht in den Sternen. EU-Kenner halten es nicht für ausgeschlossen, dass schon in wenigen Jahren vor allem weniger finanzstarke Länder dazu übergehen werden, von ihnen geforderte Kfz-Bußgelder direkt an sie überweisen zu lassen. Bei jährlich 52 Mio. Euro verhängten Bußgeldern an Deutsche rechnet sich das allemal. Ralph Michaelsen von ab-in-den-urlaub.de prophezeit angesichts der 515.784 Bußgeldbescheide die an Deutsche aus dem europäischen Ausland jährlich verschickt werden, dass "die deutschen Behörden ab Herbst deutlich mehr zu tun haben".

Einmal mehr zeigt die EU mit dieser neuen Verordnung ihre Nicht-Fisch-Nicht-Fleisch-Mentalität. Denn: Die Verkehrsschilder in Italien, Griechenland, Spanien oder Schweden dürfen nach wie vor nur in der Landessprache aufgestellt werden. Da die Einheitlichkeit der Schilder nicht gegeben ist, dürften viele deutsche Urlauber schon auf Grund der mangelnden Sprachkenntnisse mit Regelmäßigkeit in die Bußgeld-Falle tappen. Dennoch: "Ich rate den Betroffenen die Bußgeldbescheide gründlich zu studieren, sich zu wehren oder bei wirklich eindeutigen Vergehen auch zu zahlen", so Anwalt Kaden. Wer nicht zahlt, für den steht ab Herbst 2010 deutlich mehr auf dem Spiel – zum Beispiel noch höhere Bescheide wegen Zahlungsverweigerung.


 

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