29.01.09 10:40 Alter: 16 Monat(e)

Eltern, die ihre Kinder entführen – Europa-Abgeordnete vermittelt

Die SPD-Europa-Abgeordnete Evelyne Gebhardt ist Expertin für Fragen des internationalen Familienrechts. Seit 2004 ist sie Mediatorin des Europäischen Parlaments für Fälle, in denen Konflikte zwischen getrennt lebenden Elternteilen eskalieren und es zu einer grenzüberschreitenden Entführung von Kindern kommt. Dann geht es vor allem darum, eine Lösung im Interesse des Kindes zu finden und dessen Grundrecht auf Kontakt mit beiden Eltern durchzusetzen, wie Gebhardt erklärt.

Frau Gebhardt, wie kam es dazu, dass das Europäische Parlament eine Mediatorin für grenzüberschreitende Fälle von elterlicher Kindesentführungen ernannt hat?

Im Februar 1987 empfing der damalige Parlamentspräsident Lord Plumb in Straßburg die „fünf Mütter aus Algier“ und eine Mutter aus Großbritannien. Die „Mütter aus Algier“ waren Frauen, denen französische Gerichte das Sorgerecht für ihre Kinder zugesprochen hatten, deren geschiedene Ehemänner die Kinder jedoch bei einem Besuch nach Algerien entführt hatten und sie dort festhielten – zumeist im Einklang mit algerischem Recht, wie der Bericht über diese Fälle von Marie-Claude Vayssade, der ersten Mediatorin, feststellte.


Mehrere Jahre lang kämpften diese Mütter für das Recht ihrer Kinder, sich frei zwischen ihren beiden Eltern zu bewegen. Straßburg war eine der Etappen auf einem Protest-Marsch, den sie im Februar und März 1987 von Paris nach Genf organisiert hatten. In Genf wollten sie der UN-Menschenrechtskommission Empfehlungen über die Bewegungsfreiheit von Kindern für die damals erarbeitete Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen vorlegen.

Am 24. Februar 1987 informierte der Präsident des Europäischen Parlaments schriftlich alle Mitgliedstaaten über die Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Initiative der „Mütter aus Algier“ und über seine persönliche Unterstützung. Ein persönlicher Mitarbeiter des Parlamentspräsidenten wurde speziell dazu bestimmt, diese Angelegenheit zu verfolgen.

 
Am 20. März 1987 ernannte Präsident Lord Plumb dann erstmals eine „Europäische Mediatorin bei grenzüberschreitenden Fällen von Entführungen von Kindern aus binationalen Ehen“. Diese Berufung signalisierte auch den Willen des Europäischen Parlaments, dem Besuch der Mütter aus Algier in Straßburg praktische Taten folgen zu lassen.

Worin besteht Ihre Rolle als Mediatorin?
 
Meine Rolle besteht darin, eine gütliche Einigung zwischen dem entführenden Elternteil und dem anderen Elternteil herbeizuführen, wobei die Interessen des Kindes bzw. der Kinder im Vordergrund stehen. Da jedes Kind Anspruch auf beide Eltern hat, kann jeder der beiden ein Mediationsverfahren beantragen.

Die Verantwortung der Mediatorin liegt darin, den Kindern und den Eltern zu helfen, die beste Lösung für das Wohl des Kindes zu finden. Ich muss also dafür sorgen, dass die Interessen und das Wohl eines entführten Kindes gewahrt werden.

 
Um Kindern und Eltern sowie den anderen unmittelbar betroffenen Parteien (wie beispielsweise den Großeltern) die emotionale Anspannung und die Ängste zu ersparen, die ein Gerichtsverfahren mit sich bringt, informiert und beraten wir über alternativen Methode zur Beilegung des Konfliktes, namentlich die Mediation.
 
Kommt es im Verlauf eines Mediationsverfahrens zu einer Einigung so erspart dies dem Kind eine neue Trennung bzw. einen Ortswechsel und die Eltern können versuchen, alle familiären Fragen aktiv und effektiv zu lösen.

 
Ein solches Verfahren ist schneller und kostengünstiger als ein Gerichtsverfahren. Sobald die Eltern sich geeinigt haben und sie die getroffene Vereinbarung akzeptiert und unterzeichnet haben, kann diese einem Gericht vorgelegt werden, das daraufhin eine international anerkannte gerichtliche Anordnung erlässt.
 
Um die Wirksamkeit und die Professionalität einer Mediation zu gewährleisten, stellen wir für jeden einzelnen Fall ein geeignetes Team von Mediatoren zusammen. Dabei bemühen wir uns, die folgende Regel einzuhalten: eine Frau – ein Mann, ein Rechtsanwalt – ein Nicht-Rechtsanwalt (etwa ein Psychologe, Soziologe, Pädagoge oder Sozialarbeiter), wobei beide die Sprachen der streitenden Parteien beherrschen müssen.
 
Welche Hilfe können Elternteile erwarten, deren Kind entführt wurde?

Die Hauptaufgabe besteht nicht darin, den Eltern zu helfen, sondern den Kindern. Auch wenn die Mediationssitzungen für die Eltern organisiert werden, ist es doch das Kind, das davon profitieren soll. Während der Mediation sucht man die besten Lösungen für die ganze Familie, insbesondere aber für das Kind.  
Ich betone diesen Aspekt, weil sich die Eltern häufig über ihre Rechte streiten und dabei vergessen, dass das Kind Anspruch auf eine persönliche Beziehungen und direkte regelmäßige Kontakte zu beiden Elternteilen hat, sofern dies nicht seinem Wohl entgegensteht – wie es im Artikel 24 der EU-Grundrechtscharta heißt. 

Sind Ihres Erachtens neue Rechtsvorschriften in diesem Bereich erforderlich?

Das Übereinkommen von Den Haag vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ist auf internationaler Ebene das wichtigste und umfassendste Dokument. Mit diesem Übereinkommen wird versucht, das Kind vor den Nachteilen des sogenannten „widerrechtlichen Verbringens“ international zu schützen und Verfahren einzuführen, um seine sofortige Rückkehr in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts zu gewährleisten.

 
Wenn die Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens den Bestimmungen und seinem Geiste folgen, indem sie diese korrekt auslegen, gibt es keine Schwierigkeiten.

In der Europäischen Union gilt die Verordnung Brüssel II a, deren Zweck ebenfalls darin besteht, Entführungen durch einen Elternteil innerhalb der Europäischen Union zu verhindern, und die sich auf die Regeln des Haager Übereinkommens stützt.

Die Rechtsvorschriften sind gut. Man muss sie aber richtig anwenden und die anderen Staaten auffordern, sich daran zu beteiligen. Dabei denke ich an die Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens, die eine Kultur, eine Tradition, eine Mentalität und eine Auffassung von der Stellung der Frau und der Kinder vertreten, die nicht der unseren entspricht.

 
Die zwischenstaatlichen Abkommen sollten durch eine einheitliche und globale Regelung ersetzt werden, um die Zusammenarbeit im Interesse der Kinder zu harmonisieren und zu verbessern.

 


 

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