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19.12.08 20:06 Alter: 16 Monat(e)
48 Stunden wöchentliche Höchstarbeitszeit in der EU
Nach dem Willen des Europäischen Parlaments soll die wöchentliche Höchstarbeitszeit in der EU 48 Stunden betragen, kalkuliert über einen Zeitraum von 12 Monaten. Ausnahmen von dieser Regel sollen innerhalb von drei Jahren auslaufen. Der EU-Ministerrat hingegen möchte Ausnahmen (sog. "Opt-Outs") und damit eine höhere Wochenarbeitszeit zulassen. Der gesamte Bereitschaftsdienst, einschließlich der inaktiven Zeit, soll nach Ansicht der Abgeordneten als Arbeitszeit angesehen werden.
In Zweiter Lesung hat das EP heute mit absoluter Mehrheit den Gemeinsamen Standpunkt des Ministerrates zur Richtlinie "über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung" abgeändert; es wird somit zu einem Vermittlungsverfahren zwischen EP und Rat kommen. Wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden
Die Abgeordneten sprechen sich in dem von Alejandro CERCAS (SPE, Spanien) vorgelegten Bericht für eine wöchentliche Höchstarbeitszeit in der EU von 48 Stunden aus, kalkuliert über einen Zeitraum von 12 Monaten. Ausnahmen von dieser Regel sollen innerhalb von drei Jahren auslaufen. Im Gegensatz dazu möchte der EU-Ministerrat Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz der 48h-Höchstarbeitszeit zulassen, sofern ein wirksamer Schutz der Sicherheit und der Gesundheit gewährleistet werden.
Diese "Opt-Out-Klausel" des Ministerrats sieht vor, dass Arbeitnehmer, die ihre Zustimmung erteilen, im Durchschnitt eines Dreimonatszeitraums bis zu 60 bzw. 65 Stunden in der Woche (wenn die inaktive Zeit während des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit angesehen wird) arbeiten dürfen. 15 EU-Mitgliedsländer nutzen derzeit die Opt-out-Regelung. Das EP lehnt Ausnahmen ab und spricht sich gegen Opt-Outs aus. Der entsprechende Antrag wurde mit 421 Ja-, 273 Nein-Stimmen und 11 Enthaltungen angenommen.
Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit
"Der gesamte Bereitschaftsdienst, einschließlich der inaktiven Zeit, wird als Arbeitszeit angesehen", so das EP weiter. Im Unterschied dazu sieht der EU-Ministerrat in seinem Gemeinsamen Standpunkt die inaktive Zeit während des Bereitschaftsdienstes nicht als Arbeitszeit an, sofern nicht in einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern etwas anderes vorgesehen ist. Der Parlament macht allerdings deutlich, dass inaktive Zeiten während des Bereitschaftsdienstes durch Tarifverträge oder sonstige Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern bzw. Rechts- und Verwaltungsvorschriften bei der Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit "besonders gewichtet" werden können, und zwar in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit von Arbeitnehmern.
Ausnahmen für Geschäftsführer und andere Führungskräfte
Abweichungen von der Richtlinie sollen nach Ansicht der Abgeordneten begrenzt werden, um die Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit zu wahren, die unabhängig von der Stellung der betroffenen Person gelten sollen. Lediglich für Geschäftsführer oder Personen in vergleichbaren Positionen, ihnen direkt unterstellte Führungskräfte und Personen, die unmittelbar von einem Vorstand ernannt werden, sollen Ausnahmen gelten.
Ausgleichsruhezeiten Wenn keine Ruhezeiten gewährt wurden, sollen die Arbeitnehmer nach der Arbeitszeit - im Einklang mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder sonstigen Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern - Ausgleichsruhezeiten erhalten. Diese Ruhezeiten sollen auf die Arbeitszeiten folgen. Der Ministerrat möchte die "Bestimmung der Dauer der angemessenen Frist, in der die Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten erhalten", den Mitgliedstaaten überlassen. Arbeitnehmer mit mehr als einem Arbeitsvertrag
Das Parlament hat auch Änderungsanträge angenommen, um die Situation von Arbeitnehmern mit mehr als einem Arbeitsvertrag zu klären. Hat ein Arbeitnehmer mehrere Arbeitsverträge, ist zu gewährleisten, dass die Arbeitszeit der Summe der für jeden einzelnen Vertrag geleisteten Arbeitszeit entspricht. Hintergrund: Die ursprüngliche Arbeitszeitrichtlinie stammt aus dem Jahr 1993 und wurde 2000 überarbeitet. 1993 hat Großbritannien die Opt-Out-Klausel durchsetzen können, die es den Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen gestattet, von der 48-Stunden-Regel abzuweichen.
Im Jahr 2004 hat die Kommission eine weitere Überarbeitung der Richtlinie vorgeschlagen. Damit soll auch Urteilen des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere in den Rechtssachen SIMAP und Jäger, Rechnung getragen werden. In beiden Urteilen geht es um die Frage, inwieweit die persönliche Anwesenheit von Ärzten in Gesundheitseinrichtungen im Rahmen eines Bereitschaftsdiensts per se als Arbeitszeit anzurechnen ist. Nachfolgend finden Sie eine Zusammenfassung der Debatte vom Montagabend: Die Überprüfung der Richtlinie treffe auf große Aufmerksamkeit und Sorge, so Berichterstatter Alejandro CERCAS. Er halte den Vorschlag des Rates für einen "politischen und rechtlichen Fehler. Wir fragen uns, warum die Bürger den EU-Institutionen so skeptisch gegenüber stehen. Hier haben wir die Erläuterung". Das Europäische Parlament müsse nun zeigen, dass es den Anliegen der Bürger nahe ist. Europa dürfe keine falschen Versprechungen machen, man dürfe nicht zulassen, dass das Gesetz für einen Wettbewerbsvorteil genutzt werde. Das Gesetz dürfe nicht missbraucht werden, um Lohndumping zu betreiben. Der Vorschlag des Rates sei eine "Aushöhlung der internationalen Abkommen" und außerdem eine Rückkehr in die Arbeitssituation des 19. Jahrhunderts. "Die Schwächsten werden ausgebeutet", sagte Cercas, zudem werde die Situation für Frauen erschwert. Die Nichtanerkennung des Bereitschaftsdienstes wäre zudem eine Gefahr für die Sicherheit der Bürger. Er hoffe nun auf die Dienste der Kommission, um einen Kompromiss zu finden, denn "es gibt eine Chance, die Kluft zu schließen", so Cercas. Für die französische Ratspräsidentschaft sagte Valérie LÉTARD, der im Ministerrat gefundene Kompromiss sei gut. Es gehe nicht darum, bestehende Rechte der Arbeitsnehmer auszuhöhlen. Vielmehr würden Ansprüche festgeschrieben. Sie plädierte dafür, den Text des Rates nicht zu ändern. EU-Kommissar Vladimír ŠPIDLA sagte, er sei davon überzeugt, dass eine Überarbeitung und Klärung der Richtlinie notwendig sei. Sein größtes Interesse sei es, den Rechtsschutz der vielen Mitarbeiter zu sichern, die unter die "Ausnahmeregelungen" fallen. Vor allem für diese müssten Sicherheit und Gesundheit gesichert werden. Die Bürger Europas würden kaum verstehen, warum EU-Institutionen eine Finanzkrise in den Griff bekommen können, nicht aber imstande sind, klare, ausgewogene Regelungen für die Arbeitszeit festzulegen. José Albino SILVA PENEDA (EVP-ED, Portugal) erklärte, er habe nach wie vor das Ziel, eine Einigung mit dem Rat zu erreichen, gegebenenfalls im Vermittlungsausschuss. Problematisch sei vor allem die Frage des Bereitschaftsdiensts der Ärzte. Bei den Opt-Outs gehe es auch darum, Familien- und Berufsleben zusammenzubringen. "Wir brauchen gemeinsame Regeln, denn wir haben einen gemeinsamen Markt", so Jan ANDERSSON (SPE, Schweden). Hinsichtlich des Bereitschaftsdienstes seien flexible Lösungen möglich, wenn Arbeitnehmer und -geber sich einig würden. Der Rat jedoch halte Bereitschaftsdienst für Freizeit, sagte Andersson, "dem ist jedoch nicht so, weil man sich in Bereitschaft am Arbeitsplatz und nicht zu Hause befindet." Der Standpunkt des Rates sei nicht ideal, aber das Ergebnis jahrelangen Verhandelns, so Elizabeth LYNNE (ALDE, Großbritannien). Die Abschaffung des Opt-Outs würde mehr Menschen in die Schattenwirtschaft treiben, wo sie völlig ungeschützt seien. Die Arbeitnehmer müssten auch die Möglichkeit haben, Überstunden zu machen. Elisabeth SCHROEDTER (Grüne) erklärte, überlange Arbeitszeiten würden nicht nur krank machen, sie könnten außerdem die Bürger gefährden: "Oder wollen Sie von einem übermüdeten Arzt behandelt werden oder ihm später im Straßenverkehr begegnen?" Der Ratsvorschlag verfehle das Ziel des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz. Der Vorschlag des Ausschusses sei durchaus flexibel. Es werde immer nach mehr Flexibilität gerufen, aber nötig sei auch mehr Ausgewogenheit, so Roberta ANGELILLI (UEN, Italien). Die Rechte der Arbeitnehmer dürften nicht ausgehöhlt werden. Die Überarbeitung der Richtlinie dürfe "nicht um jeden Preis durchgeboxt werden". Der Text des Rates würde Europa um 20 Jahre zurückwerfen, zudem würde die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes mit Füßen getreten, sagte Dimitrios PAPADIMOULIS (VEL/NGL, Griechenland). "Wir fordern dass das Opt-Out gestrichen wird und dass Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit angesehen wird". Derek Roland CLARK (IND/DEM, Großbritannien) erklärte, die Arbeitszeitrichtlinie sei "Zeitvergeudung" und müsse ein für alle Mal begraben werden. Er unterstütze das Opt-Out, genau wie viele andere Länder. Das Gesundheitspersonal sei direkt von der Richtlinie betroffen und die Gewerkschaften hätten die Befürchtung, dass Arbeitgeber nun "freie Hand" bekämen, so Irena BELOHORSKÁ (Fraktionslos, Slowakei). Das Gesundheitspersonal könne Gegenstand von Missbrauch werden und dies sei "eine Herabwürdigung des Berufsstandes". Weitere deutschsprachige Rednerinnen und Redner: Karin JÖNS (SPD) plädierte dafür, dem Votum des Beschäftigungsausschusses zu folgen. Es sei Zynismus, die Beibehaltung des Opt-Outs als soziale Errungenschaft zu verkaufen. Das Gebot von Vereinbarkeit und Beruf werde durch den Ratstext an den Nagel gehängt. Dies käme einem Verrat am sozialen Europa gleich. Andreas MÖLZER (FPÖ) erklärte, die EU-Bürger bekämen immer mehr das Gefühl, dass die Union enger mit der Wirtschaft zusammen rücke, als mit den Bürgern Europas. "Hart erkämpfte soziale Rechte sollen beschnitten werden". Einerseits propagiere man die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, andererseits würden Sonntage immer öfter zu Arbeitstagen, wodurch die Familie auf der Strecke bleibe. Die Einteilung der Bereitschaftszeit in aktiv und inaktiv sei "realitätsfremd. Beides ist Arbeitszeit", so Thomas MANN (CDU). Gesundheits- und Arbeitsschutz seien unabdingbar. Allerdings sei Bereitschaftszeit nicht gleich Bereitschaftszeit, etwa bei den Werksfeuerwehren. Er setze auf Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen, stimme aber im Grundsatz dem Bericht des Beschäftigungsausschusses zu. Der Europäische Gerichtshof hätte entschieden, dass Bereitschaftsdienst Arbeitszeit sei und "deshalb ist noch kein Krankenhaus pleite gegangen", so Gabriele STAUNER (CSU). Gerade angesichts der momentanen Krise würde der Druck auf die Arbeitnehmer ohnehin erhöht und diese würden nun fast gezwungen, "ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen, um ihre Familie zu ernähren." Der Mensch sei keine Maschine, die ohne Pause durcharbeiten könne, sagte Stauner, sie hoffe deshalb auf eine "vernünftige, menschengerechte Lösung." Der gesamte Bereitschaftsdienst muss als Arbeitszeit angesehen werden, so Anja WEISGERBER (CSU). In dieser Beziehung müsse der Text des Rates geändert werden. Jedoch gelte die Richtlinie nicht nur für Ärzte, sondern für alle Berufsgruppen. Etwa gebe es Feuerwehrleute, die während ihrer Bereitschaft schlafen könnten. Sie sprach sich für ein tarifvertragliches Opt Out aus, für "passgenaue Lösungen vor Ort". Berichterstatter: Alejandro CERCAS (SPE, Spanien) Bericht: (A6-0440/2008) - Arbeitszeitgestaltung Verfahren: Mitentscheidungsverfahren, 2. Lesung Aussprache: Montag, 15.12.2008 Abstimmung: Mittwoch, 17.12.2008
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